Im „Memorium Nürnberger Prozesse“: Flavio (16) und Francesco (18) aus Italien (© Christina Söder)
Europa leben: „Against Forgetting“ in Nürnberg
Internationale Jugendbegegnung zu Kriegsverbrechen und Menschenrechten
Sechs Jugendbegegnungen in sechs Ländern sind der Kern des Projektes „Against Forgetting“, das vom Programm CERV der EU-Kommission gefördert wird. Eine davon fand in Franken statt mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Bosnien und Herzegowina, Großbritannien, Italien, Polen, Rumänien, Slowenien und Deutschland. Im Fokus: NS-Verbrechen, internationales Strafrecht und das heutige Europa.
Bunt wie die Stofftasche von Bartosz ist die Gruppe junger Menschen, die zu einem Workshop in das „Memorium Nürnberger Prozesse“ gekommen ist. In dem historischen Justizgebäude mussten sich von November 1945 bis Oktober 1946 Vertreter des nationalsozialistischen Regimes vor einem internationalen Militärgerichtshof verantworten. Bis 1949 fanden hier außerdem die „Nürnberger Nachfolgeprozesse“ statt.
Für die Zukunft lernen
Heute befindet sich an diesem historischen Ort ein Museum. Eine Dauerausstellung informiert über jene Gerichtsverfahren, die eine Neuerung im internationalen Strafrecht darstellten und die Entwicklung zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag einleiteten. Mit Zettel und Stift ausgestattet stöbern die 15- bis 24-Jährigen durch die Ausstellungsräume, sammeln Informationen für ein Geschichts-Bingo. Anschließend diskutieren sie über die Ergebnisse und tauschen Erkenntnisse aus.
Ist Geschichte für Jugendliche heute noch relevant? „Ich bin überzeugt davon, dass Geschichte der Weg ist, für die Zukunft zu lernen“, sagt die 15-jährige Stella aus Berlin. „Ich würde nicht sagen, dass Geschichte sich wiederholt. Aber es gibt Muster, die man erkennen kann und die immer wieder auftreten. Vor allem in Zeiten wie diesen, in denen die AfD Zuwachs erhält, in denen Leute anfangen, den Holocaust runterzuspielen oder zu leugnen, in denen Propaganda stärker wird und sich auf Social Media verbreitet, ist es wichtig, in die Geschichte zu schauen: Wie hat das damals funktioniert? Und wie können wir das verhindern?“
Ein Bewusstsein schaffen
Auch der 18-jährige Bartosz aus Polen findet es wichtig, historische Zusammenhänge zu kennen: „Heute ist es durchaus möglich, dass Länder sich wieder im Krieg befinden. Da muss man wissen, wie man sich verhält.“ Teamerin Amelia ergänzt: „Ich denke, es ist notwendig, sich an die Vergangenheit zu erinnern. Obwohl wir in der Schule über alle Epochen unterrichtet werden, habe ich den Eindruck, dass das einfach nicht ausreicht.“
Die 23-jährige Slowenin Tea, die ebenfalls als Teamerin das Camp begleitet, möchte die Gesellschaft sensibilisieren. „Obwohl die Nürnberger Prozesse stattfanden und der Internationale Strafgerichtshof eingerichtet wurde, werden immer noch Kriegsverbrechen begangen“, gibt die Jurastudentin zu bedenken. „Wir haben immer noch nicht aus dem, was wir gesehen haben, gelernt. Wir müssen weiterhin Menschen darüber informieren.“
Rosen zum Gedenken

Nach dem Besuch im „Memorium“ macht sich die Gruppe auf den Weg zum Nürnberger Südfriedhof. Dort ruhen Kriegstote aus beiden Weltkriegen, darunter Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung: über 5.000 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus Süd- und Osteuropa sowie 3.500 sowjetische Kriegsgefangene. Die jungen Menschen erkunden die Kriegsgräberstätte, entziffern Namen auf verwitterten Grabsteinen. Zum Abschluss versammelt sich die Gruppe: Bartek und Antonina lesen im Wechsel das Totengedenken. Dann legt jeder eine Rose nieder – ein stiller Gruß am Grab eines Menschen, gestorben durch Unterversorgung im Lager Langwasser, durch die Folgen der Ausbeutung in der Zwangsarbeit, durch Bomben oder Erschießungen.
Der Abend gehört den Lebenden: In Kleingruppen erkunden die Jugendlichen die Nürnberger Altstadt. Zwischen Fast Food und Souvenirs ist für jeden was dabei. Gemeinsames Erleben wird großgeschrieben. „Jeder kommt mit jedem echt gut klar“, beschreibt die 20-jährige Mila aus dem Saarland das Miteinander. „Egal wen Du triffst, egal mit wem Du sprichst: Alle sind supernett und super offen. Es ist wirklich so, wie man sich das vorstellt, wenn man sagt, man lebt Europa.“
Ausstellung und Podcast
Der folgende Tag beginnt mit Gruppenarbeit. Während der sechs Jugendbegegnungen von „Against Forgetting“ sollen eine gemeinsame englischsprachige Ausstellung und ein Podcast entstehen – gespeist aus Eindrücken und Arbeitsergebnissen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: multinational und multiperspektivisch. Stella, die zum Podcast-Team gehört, findet es besonders wertvoll, die verschiedenen Narrative kennenzulernen: „Ich finde es spannend, in der Gruppe unterschiedliche Perspektiven zu haben und die Möglichkeit, uns darüber auszutauschen.“ Für ihren Podcast interviewt das Team mehrere Gruppenmitglieder.
„Diese internationale Jugendbegegnung ist richtig cool“, lautet das Fazit von Anne, einer erfahrenen Teamerin, die das Nürnberger Camp leitet. „Zu sehen, dass hier alle friedlich miteinander auskommen, dass man sich gegenseitig unterstützt, alle ähnliche Interessen haben und keine Feinde sind, ist wunderbar.“
Der Volksbund ist ...
… ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Mehr als 10.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 45 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten wie Workcamps und PEACE LINE erreicht er jährlich rund 38.000 junge Menschen. Für seine Arbeit ist er dringend auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen.
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